11. 7. 2000 | Frankfurter Allgemeine Zeitung / Berliner Seiten


Der dehnbare Architekt

Abriß West (13): Peter Eisenmans "Haus am Checkpoint Charlie"

Den Schwalben gefällt es, das Eckhaus an der Kreuzung Friedrichstraße / Kochstraße. Weil Peter Eisenman, der Architekt, sich strikt geweigert hatte, den Blockrand glatt zu schließen, bieten sich den Vögeln reizvolle Rücksprünge zum Nestbau an. Auch die Betreiber des im Erdgeschoss gelegenen Museums zur Geschichte der Berliner Mauer haben allerhand Nischen und blinde Flächen an der Fassade entdeckt, wo sie ihren Ramsch plazieren können, sei es die Tragfläche eines Fluchtflugzeuges, die "letzte Kremlflagge" oder ein mit Kunst verkitschtes Mauerfragment. Die Touristen strömen in Scharen an diesen Ort und manch einer mag sich beim Warten in der Schlange wohl fragen, ob Eisenmans Eckgebäude eines der in Berlin doch so zahlreichen Monumente ist, in diesem Falle eines, dass den Zerfall des Sowjetregimes symbolisieren soll. Es deutet einiges darauf hin. Ein grauer Dreckschleier überzieht die einstmals leuchtenden Putzflächen mit der Patina des Vergammelten, an der Friedrichstrasse gibt es kleine Balkone, deren Benutzung offensichtlich verboten ist und die Fenster scheinen an vielen Stellen zugemauert zu sein. Wer genauer hinsieht, der findet an der Fassade die Reste eines roten Bandes, das den auseinanderdriftenden Bau irgendwann einmal zusammenschüren sollte. Aber das Band wurde von der Geschichte durchtrennt und so erzählt die Architektur nun recht plastisch von den reichlich zerrütteten Verhältnissen hinter dem eisernen Vorhang. Wohnen in diesen post-totalitären Verhau würde wohl niemand gerne, selbst wenn er erführe, dass alles ganz anders gemeint war.

Ursprünglich hatte ein Garten dort entstehen sollen. Als Antwort auf die nahe Mauer schickte Peter Eisenman (zusammen mit Jacquelin Robertson) aus dem heimischen New York ein paar hinreissende Zeichnungen nach Berlin und gewann 1980 einen der zahlreichen Wettbewerbe der "Internationalen Bauausstellung (IBA)". Eisenman, dem bevorsteht, das Holocaust-Memorial nach einer Entwurfsidee des Künstlers Richard Serra zu realisieren, war schon damals kein Unbekannter. Mit dem von ihn gegründeten "Institute for Architecture and Urban Studies" hatte er sich den Ruf eines Impresarios der Postmoderne erworben, der den regen Austausch mit Europa und dort vor allem mit den linksradikalen Stadtrekonstrukteuren Italiens pflegte. Für den IBA-Direktor Josef Paul Kleihues war Eisenman damit einer der transatlantischen Brückenköpfe bei seinem Versuch, das internationale Jet Set der Architektur auf den Neubau-Teil der IBA anzusetzen und nebenbei noch ein paar für die eigene Architektenkarriere förderliche Kontakte zu knüpfen.

Auch als das Projekt sich immer weiter vom ersten Entwurf entfernte, gelang es, Peter Eisenman bei der Stange zu halten. Statt des Gartens und zweier Gebäudekomplexe blieb ihm am Ende nur noch ein einzelner Wohnungsbau. Obwohl dies kein Ort sei, wo er Kinder großziehen würde und ihm der Gedanke an ein Wohnhaus "einfach schrecklich" erschien, wie Eisenman auf einer Diskussion mit Kollegen zugab, beugte er sich den Vorgaben. Architekten mit Prinzipien sind eine seltene Spezies. Aber selbst an einer anderen Stelle wäre Eisenman, der "so gute Bücher schreibt" wie ihm der Philosoph Jacques Derrida bescheinigte, wahrscheinlich kein guter Wohnungsbau geglückt. Auch wenn man ihn mit einem Architekturmuseum beauftragt hätte, was zeitweilig erwogen wurde, oder mit irgendeiner anderen Bauaufgabe - das Ergebniss wäre immer dasselbe. Erst greift Eisenman tief in die theoretische Trickkiste und erklärt, dass Architektur die letzte Bastion eines längst erodierten Fortschrittsversprechens sei, Opium für das Volk gewissermassen, die dringend geschleift werden müsse. Dann zeigt er schöne Modelle, die den Gedanken in wüste Formzertrümmerung oder eine unheimliche "Andersheit" übertragen. Auch in diesem Stadium hat Eisenmans Methode noch kritische Sprengkraft und durchaus Charme, wenn man an die eherne Unerschütterlichkeit denkt, mit der das Publikum bei Kleihues, Kollhoff und Konsorten über die ökonomischen Abgründe manches Bauprojekts hinweggeführt wird. Den letzten Schritt aber, die Realisierung, sollte Eisenman seinem Publikum ersparen. Ob in Berlin, Cincinnati oder Columbus/Ohio: Eisenman bedeuten seine Computeranimationen und Theorien mehr als die reale Welt. Aus den Modellen wird stets ödeste Realität, aufs Billigste zusammengeschustert, ohne Sinn für Material und Details und ohne Interesse für die Bedürfnisse der Benutzer. Allein der Eingang zum Haus an der Kochstraße und die Zugänge zu den Wohnungen sind von einer Ignoranz, die fatal an die Wohnmaschinen der sechziger Jahre erinnert. Wem nützt es, in einem Haus zu wohnen, mit dem der Architekt sich rühmt "jenem Kontextualismus, der Berlin am liebsten wieder in den Zustand des neunzehnten Jahrhunderts zurückversetzten möchte" tapfer widerstanden zu haben? Rem Koolhaas, der während der IBA schräg gegenüber eine weitaus gelungenere Architektur der Verweigerung bauen konnte, hatte Eisenman frühzeitig vor einer Geste gewarnt, "die über keinerlei eingebaute Garantie verfügt, dass man sie für mehr hält, als eine bloße private Neurose". Er hat recht behalten. Auch in zukünftigen Fällen schadet es nicht, sich daran wieder zu erinnern.

Oliver Elser

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