[Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Feuilleton), 30.6.2001]


Schade, daß Beton nicht blüht

Hugo Häring (1882-1958), der Organiker der modernen Architektur in der Akademie der Künste, Berlin


Das Etikett des organischen Bauens haftet zäh und klebrig am Werk des Architekten Hugo Häring. Für deutschtümelnd-erdige Begleittöne hat er in seinen Schriften oft selbst gesorgt und auch das gebaute Werk provoziert Mißverständnisse und Verkürzungen, denn Häring taucht meist nur mit einem einzigen Werk in der Architekturgeschichtsschreibung auf, bei dem es sich um einen Kuhstall handelt. Der nach der Krippe von Bethlehem wahrscheinlich meistpublizierte Stall der Welt ist allerdings ein höchst eigensinniges Gebilde, näher mit einer hochkomplexen Futtermaschine verwandt als mit vermeintlichen Naturformen. Der Begriff des organischen Bauens bedarf also einer Präzisierung, wenn nicht gar der Revision eingefahrener Urteile.

Zu Ehren ihres Gründungsmitglieds und zur Erhellung von dessen Werk und Wirken hat die Berliner Akademie der Künste nun eine große Ausstellung eingerichtet. Die materialreiche Präsentation eines weniger klassischen Vertreters der Moderne hat in der Akademie eine gewisse Tradition und kann an die großen Ausstellungen der vergangenen Jahrzehnte über Bruno Taut und Hans Scharoun anknüpfen. Mit Hugo Häring wird ein Architekt der "anderen Moderne" vorgestellt, ohne ihn durch einen konstruierten Gegenwartsbezug zu vergewaltigen. Nur an einer Stelle war den Ausstellungsmachern um Matthias Schirren offensichtlich daran gelegen, auf aktuelle Anschlußpunkte hinzuweisen. Den Häringschen Entwurf von 1929 für den Platz vor dem Reichstag, eine große Tribüne, von der die Bürger ihren Vertretern beim Diskutieren zusehen können, haben sie im Modell nachbauen lassen. Man kann es als dezenten Hinweis auf die nach wie vor ungelöste Repräsentation der Bevölkerung im Zentrum der Macht deuten, aber auch lediglich eine willkommene Abwechslung in einer von Planmaterial dominierten Ausstellung darin sehen.

Entwürfe wie diese Studie Härings zeigen, daß Architektur schwerlich aus sich selbst heraus, als "organischer" Prozeß entstehen kann. Auch das von Häring in lebenslanger Anstrengung entwickelte "organhafte Bauen" stößt unweigerlich an Grenzen, wo der reine Zweck nicht mehr ausreicht, um zur Gestalt zu finden. Häring, das unterscheidet ihn von vielen seiner Zeitgenossen, suchte die Form in der Natur. Nicht in der formalen Nachahmung allerdings, wie zuvor die Künstler und Architekten des Jugendstils, sondern indem "die Dinge ihre eigene Gestalt entfalten", auf selbstverständlichem, eben ganz "natürlichem" Wege. In strikter Opposition zu den geometrieversessenen Architekten seiner Zeit, Le Corbusier ist das erklärte Feindbild, arbeitete Häring an einer Entwurfslehre der Selbstentfaltung und nannte seine zusammengeballten Raumgefüge scherzhaft "Kartoffelgrundrisse". Die Resultate, kritisierte ihn bei aller Sympathie der einflußreiche Publizist Adolf Behne, bergen die Gefahr der Über-Individualisierung. Mit diesem Urteil nimmt Behne nicht nur das Schicksal von Härings Garkauer Kuhstall vorweg, der mittlerweile leersteht, weil sich die Produktionsbedingungen in der Landwirtschaft verändert haben. Auch Behnes Sorge vor der "Neigung der Deutschen zur Natur, d.h. zur Vereinzelung" kommt seiner Ablehnung der Introvertiertheit von Härings penibel auf Funktionsabläufe hin programmierter Architektur zum Ausdruck. Härings Natur-Esoterik und sein latenter Hang zur Deutschtümelei belasten bisweilen das Verhältnis zum Rest der überwiegend international ausgerichteten modernistischen Bewegung. Dennoch gelingt es ihm, zum Sekretär des "Rings", eines Zusammenschlusses der Avantgarde-Architekten in Deutschland bestimmt zu werden. Er, dessen Werk oft sperrig und verschlossen wirkt, war bei weitem kein Eigenbrötler. Der Katalog zeichnet die vielfältigen Verbindungen zu Künstlern wie Kasimir Malewitsch und sein enges Verhältnis zu den Architektenkollegen seiner Zeit nach, bricht aber im Jahr 1933 abrupt ab. Die späteren Projekte und Schriften Härings werden zwar im ausführlichen Werkverzeichnis erwähnt, sein intellektueller Bezugsrahmen, der für die erste Lebenshälfte akribisch und oft etwas weitschweifig wiedergegeben wird, bleibt ab diesem Zeitpunkt fatalerweise undokumentiert. Das ist um so bedauerlicher, weil Häring zunächst einen mutigen, fast frechen Versuch unternimmt, die moderne Architektur bei den neuen Machthabern zu etablieren. Zwar ist in seinem letztlich doch nicht erschienenen Pamphlet auch von "Erweckung" und "deutscher Beschaffenheit" die Rede, aber in Architekturfragen bleibt Häring kompromißlos und verteidigt sogar den sonst wenig geschätzten Le Corbusier gegen den Vorwurf des "Kulturbolschewismus".

Häring wäre wohl bekannter und sein "organisches Bauen" stünde plastischer vor Augen, wenn seine Werke nicht derart an der Peripherie gelegen wären. Die Ausstellung ist zwar ein gewichtiges Ergebnis jahrelanger Archivarbeit, bleibt aber trotz der schönen Idee, ein wenig landwirtschaftliches Flair in die Räume der Akademie zu bringen, weit davon entfernt, die Architektur Härings als materiell-räumliches Erlebnis dem Publikum näher zu bringen. Denn trotz aller begrifflichen Anstrengungen müßte Häring doch vor allem als Architekt betrachtet werden, der zwar kein unfangreiches, aber doch beachtliches Werk hinterlassen hat. So schnappt die Theoriefalle ein zweites Mal zu: Härings eigener Dogmatismus verhinderte, daß seine Architektur einen gebührenden Platz innerhalb des Funktionalismus einnehmen konnte und die überwiegend spröde, auf Pläne und Texte gestützte Präsentation seines Nachlasses beschränkt den Zugang ebenfalls auf einen sehr kleinen Kreis. Wer wirklich wissen will, was "organisches Bauen" bedeutet, wird nicht umhin kommen, eine kleine Reise zu den noch vorhandenen Resten der Häringschen Architektur anzutreten.

Oliver Elser

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