17. 10. 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung

Verhärtung hinter der Bauplane

Welchen Farbton hätten's denn gern? Ein Symposion zur Restaurierung des Brandenburger Tors

Seit einem Jahr sorgt das Brandenburger Tor immer wieder für Überraschungen. Mit der Hülle, hinter der die Restauratoren ihr Werk begannen, kam die unvermeidliche Reklame. Eine nervtötende Dauerwerbesendung für Telekommunikationsprodukte war zu erwarten, denn die Mittel zur Reinigung und Instandsetzung des Tores flossen aus der Kasse eines einzelnen Unternehmens, das dafür mit Deutschlands prominentester Plakatwand gelockt wurde. Die einzige Auflage bestand darin, das Brandenburger Tor als Photographie auf der Bauplane stets präsent zu halten. Nach anfänglichen Versuchen des Sponsors, den hauseigenen Maskottchenzoo zwischen den Säulen des Tores herumalbern zu lassen, erzwang politischer Druck gegen die Profanisierung des Wahrzeichens eine neue Werbestrategie. Und von da an wurde es interessant an Berlins ödester Neubauwüste, dem Pariser Platz. Das Unternehmen begann, das wohlvertraute Bild des Tores auf immer neue Weise zu manipulieren. Mal standen die Säulen zum Slogan "Wir verbinden" eng zusammen, mal schienen sie, pünktlich zur Loveparade, im Drogenrausch einander zärtlich zugeneigt.

Doch je länger die intelligente Maskerade andauert, desto argwöhnischer wird darüber gerätselt, was hinter der Photowand eigentlich vor sich geht. Aus Kreisen der Denkmalpflege wurden Zweifel an der Kompetenz des wenig erfahrenen Restaurierungsunternehmens geäußert. Ständig dringen neue Schadensberichte aus Berlins geheimster Baustelle hervor, die die Arbeiten in die Länge ziehen. Auch das Verfahren, ein so prominentes Bauwerk zur Grundsanierung an eine Stiftung abzugeben, die nicht den üblichen Regularien öffentlicher Kontrolle unterliegt, und, durch die Finanzmacht des Sponsors gestützt, scheinbar endlos weitersanieren könnte, stieß auf Kritik.

Am vergangenen Samstag wurde deswegen die Bauplane ein wenig gelüftet. Das vor kurzem gegründete "Schinkelzentrum" der Technischen Universität Berlin lud als unbeteiligter Dritter zu einem öffentlichen Symposion ein, auf dem die technischen und gestalterischen Ziele der Restaurierung zur Diskussion wurden. Auch die schwelende Kontroverse, welche Farbe das Tor künftig haben werde, stand auf der Tagesordnung. Der Berliner Kunsthistoriker Tilmann Buddensieg hatte sie vor einiger Zeit angestoßen und mit seinem Plädoyer für den strahlend weißen Ursprungszustand immerhin den Grafiker der Baustellenverkleidung dazu bringen können, das Tor mit einem sehr hellen Grauton einzufärben. Der Chefrestaurator Stefan Grell stellte jedoch klar, daß damit noch keine Entscheidung gefallen sei. Vielmehr lasse die Reinigung der Oberfläche mit einem Laserverfahren und das Ausbessern schadhafter Stellen auch die "steinsichtige" Variante des Tores offen, die unter dem Einfluß der materialverliebten Moderne im Jahre 1927 entstanden war.

Statt der zu erwartenden Generalabrechnung brachte das Symposion eher vorsichtige Einwände und einige neue Erkenntnisse zutage. Vor allem die Mitteilung, daß die Steinoberfläche durch vorangegangene Restaurierungsarbeiten verhärtet, die dahinterliegende Schicht aber mürbe geworden sei, sorgte auf dem Podium für Überraschung. Ein Gutachten, das über mögliche Gefahren Aufschluß geben könnte, die bis hin zum Abplatzen der verhärteten Oberfläche reichen, ist allerdings noch in Arbeit. Die zur kritischen Kommentierung der Restaurierung anwesenden Experten rieten unter diesen Umständen dringend dazu, die Frage der Farbigkeit des Tores aus technischem Blickwinkel zu lösen. Jede weitere Behandlung der Oberfläche, etwa durch einen weißen Anstrich, verstärke die Verhärtung des Sandsteins.

Dem für die Schlußrunde angesetzten Schlagabtausch über die Farbe war damit ein wenig der Wind aus den Segeln genommen. Die Argumente blieben denn auch etwas hölzern und drehten sich im wohlvertrauten Rahmen der denkmalpflegerischen Denkweisen. Ein "Übertünchen" des Tores, wurde Tilman Buddensieg von Adrian von Buttlar, Berlin, und Bernhard Furrer aus Bern entgegnet, sei doch ein fataler Umgang mit der deutschen Geschichte, in der das Brandenburger Tor wie kein zweites Bauwerk mit den Ereignissen zu Bildern des kollektiven Gedächtnisses verschmolzen sei. Zudem wäre der weiße, an Marmor erinnernde Anstrich, den der Architekt Langhans als vermeintliche Referenz an die antiken Vorbilder seines Bauwerks bestimmte, bereits 1804 von mehreren "Café au Lait" – Farbtönen, später von Grau und dann von der modernistischen Steinsichtigkeit abgelöst worden und repräsentiere deswegen nur einen marginalen Teil der Geschichte, in deren Verlauf überdies die Seitenpavillons erst ihre heutige Gestalt erhielten, als das Tor längst nicht mehr weiß war.

Doch so wenig Buddensiegs Appelle Gehör fanden, die aufklärerische Botschaft des weißen Tores in Erinnerung zu bringen und den trostlosen Sandsteinbauten am Pariser Platz nicht noch einen weiteren hinzuzufügen, so sehr hätten doch die Ausführungen des Restaurators die Runde etwas skeptischer machen müssen. Nicht das beliebte und bisweilen, etwa im nahen Reichstag, auch ins skurrile Extrem getriebene Puzzlespiel historischer Zeitschichten wird nach der Enthüllung des Tores zum Vorschein kommen, sondern ein wahrscheinlich irritierend monolithisches Bauwerk. Der Restaurationseifer geht, wie dem Vortrag von Stefan Grell zu entnehmen war, bisweilen so weit, ausgebesserte Steinteile farblich zu nivellieren. Ob die Geschichte nun lesbar bleibt oder nicht, darüber scheint die Entscheidung hinter der Bauplane längst gefallen zu sein.

Oliver Elser

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