25. 5. 2000 | Frankfurter Allgemeine Zeitung / Berliner Seiten


Vorsicht, Eisenman!

"Autonomy and the Will to the Critical": Eine Helmholtz-Vorlesung an der Humboldt-Universität

Vor Peter Eisenman muß gewarnt werden. Er, den nicht wenige als denjenigen erwarten, der "endlich" das Holocaust-Memorial nach Berlin bringen wird, ist mehr Zerstörer als Architekt. Väter hat er gemordet, Formen zerschlagen, Begriffsgefüge zum Einstürzen gebracht. Ihn einen großen Theoretiker unter den Architekten des 20. Jahrhunderts zu nennen, verkennt, dass der Raubzug durch die Theoriegebäude anderer ihn stets mehr interessierte, als die allmähliche Errichtung einer uneinnehmbar eigenen Position. Eine Eisenman-Schule, das stets an die Groß-Meister der Architektur geheftete Epigonentum, gibt es nicht, denn seine intellektuellen Sprünge haben bis heute Verfolger und Verehrer weit hinter sich gelassen.

Als während der sechziger Jahren in den USA ein zartes Interesse für eine soziologische Herangehensweise an die Architektur erwachte und die Fortschrittsversprechungen der aus Europa importierten Avantgarde zu hinterfragen begann, setzte der 1932 geborene Eisenman die volle Härte der Moderne dagegen. Seine Häuser wollten nichts "von Las Vegas lernen", wie es wenig später Robert Venturi den Architekten empfahl, sondern traktierten ihre vermögenden Ostküsten-Bewohner mit kartondünnen Wänden und Stützen, die mitten durchs Schlafzimmer schnitten, weil Eisenman das Formvokabular der Moderne ins Absurde zuspitzte, um zu seinem wahren, "autonomen" Kern zu gelangen. Noch bevor die von alltagswidrigkeiten unbefleckte "Autonome Architektur" auf der XV. Triennale in Venedig 1973 zur neuen Richtung ausgerufen werden konnte, die unter anderem den kilometerfressenden Plattenbau von Halle-Neustadt feierte, hatte Eisenman das Feld gewechselt und sich einem "textuellen" Entwerfen frei nach Jacques Derrida zugewandt. Der verfaßte zum Dank den Text "Warum Peter Eisenman so gute Bücher schreibt". Die Mitte war fortan verloren. Wo eben noch die Stütze stand, war nun die "Angst vor Ungewißheit", die Eisenman dazu trieb, die "absence", die von der Moderne ignorierte "otherness" mit "in between spaces" und "weak forms" zu erforschen. Er ist unübersetzbaren Begriffsbildungen wie diesen immer treu geblieben, ließ sie wieder und wieder zur Erläuterung seiner kaum realisierbaren Projekte aufs meist überforderte Publikum niederprasseln. Texte mit Titeln wie "Moving Arrows, Eros and other Errors" zerfetzten in den 70er und 80er Jahren der Architektur-Postmoderne die historischen Hilfskonstruktionen ihres sentimentalen Kulissenzaubers, wofür Eisenman das Prädikat erhalten müsste, der einzige wirklich reflektiert postmoderne Architekt gewesen zu sein.

Es ist es noch immer. Sein Entwurf für das Max-Reinhardt-Hochhaus, den er 1992 in Berlin vorstellte, war in seiner vaginal-phallischen Form auf der Diskurshöhe der Gender-Studies und gleichzeitig vom Mies van der Rohe - Revival befruchtet. Dass er als bauender Architekt bisweilen herb enttäuscht und dass sein Einschwenken auf die Naumannsche SPD-Pädagogik beim Holocaust-Mahnmal gar Züge von Opportunismus trägt, macht ihn das als Superman der Architekturdebatte etwa verwundbar?

Oliver Elser


Peter Eisenman spricht am 25.5.2000 um 18.00 Uhr im Kinosaal der Humboldt-Universität, Unter den Linden 6, 10117 Berlin. Mehr zu den Helmholtz-Vorlesungen unter www2.hu-berlin.de/kulturtechnik/.

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