19. 7. 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung / Berliner Seiten


Gestatten, mein Name ist Chipperfield

Eine neue Galerie stellt den britischen Star-Architekten vor

Freitagabend, Choriner Straße. Gedränge vor einem Schaufenster. Von weitem sieht es so aus, als stünden darin zwei Kleiderpuppen, mit dem Rücken zur Straße gewandt. Ein buntes und ein schwarzes Abendkleid sind zu erkennen. Auch der Raum dahinter ist überfüllt. "Galerie for livable design" ist in zarten Buchstaben auf die Scheibe geschrieben. Draußen schwirren Architektennamen durch die Luft: "Bei Hilmer/Sattler arbeitest Du? Ich hab '99 Diplom gemacht und bin jetzt bei Diener und Diener". Drinnen ist das Publikum etwas gesetzter, links steht David Chipperfield, der einen Teil der Berliner Museumsinsel renovieren wird, und schaut entspannt zu den Abendkleidern hinüber. Tatsächlich sind es zwei Damen, die vor dem Fenster posieren und eine längere Ansprache zu halten scheinen. Getränke gibt es innen, sind also vorerst unerreichbar. Zwei Redakteure der "Bauwelt", er mit Bierflasche, sie mit Sektglas, stehen direkt vor der Scheibe. Den Wettbewerb, der heute abend präsentiert werde, hätten sie vor kurzem im Heft vorgestellt, wieder einmal habe Chipperfield ein Museum gewonnen, diesmal in Mailand. Hat viel zu tun, "der Engländer, der baut wie ein Schweizer", sagt der Redakteur und alle wissen, was damit gemeint ist.

Schon einmal, erinnert man sich, hat es so angefangen. Anfang der achtziger Jahre gründeten zwei Frauen eine Galerie für Architektur und nannten sie Aedes. Damals, auf dem Höhepunkt der Postmoderne, noch in der Hoffnung, daß es auch in Berlin einen Markt für Architekturzeichnungen gäbe, für die zumindest in New York seinerzeit stattliche Preise erzielt wurden. Heute zieren die unverkauften Blätter die Wände des Cafés in den S-Bahnbögen am Savignyplatz, dessen Umsatz die laufenden Kosten trägt, während die Ausstellungen in den beiden Niederlassungen von Aedes von den Architekten selbst finanziert werden müssen. Trotz der horrenden Summen für Ausstellung und Katalog, die kaum ein junges Architekturbüro aufwenden kann, existiert eine Warteliste, denn Kristin Feireiss ist es durch unermüdliches Networking gelungen, sich selbst und ihre Galerie Aedes als international bekannte Institution zu behaupten. 1996 gelang ihr der Sprung nach Rotterdam, wo sie bis vor kurzem das Niederländische Architekturinstitut leitete. Lange bevor auch in den Architekturmuseen die Etats knapp wurden und Ausstellungen immer mehr in die Nähe professioneller Werbeveranstaltungen gerieten, gab Aedes Architekten die Möglichkeit, die eigene Arbeit in eigener Regie darzustellen, allerdings auch zu Lasten des eigenen Kontos.

Bei "suitcasearchitecture" ist das Konzept ähnlich, nur ist es "not so expensive", stellt Chipperfield in seiner Rede lächelnd fest. Die beiden Initiatorinnen, Beate Engelhorn und Kristien Ring, stehen erst am Anfang, hauptberuflich sind die Architektinnen wissenschaftliche Mitarbeiter an einem Lehrstuhl in Cottbus, leben und arbeiten aber vorwiegend in Berlin. Die Ausstellung zu Chipperfields Entwurf eines Museums für Nicht-Europäische Kulturen in Mailand ist ihre erste, weitere werden im Zwei-Wochen-Rhythmus folgen.

Als der Trubel etwas abflaut, erzählt Kristien Ring, daß sie in den Ausstellungen nur jeweils ein Projekt zeigen wolle, an dem aber deutlich werde, wie unterschiedlich die 6 ausgewählten Architekturbüros entwerfen. Am Ende der Reihe sei dann eine Publikation geplant und das gewonnene Wissen solle eventuell auch in ihr Promotionsprojekt einfließen, bei dem es um Entwurfsstrategien gehe. Die zahlreichen Architekten im Raum haben anscheinend andere Sorgen. "Sag mal, ist die Auftragslage bei Euch auch so schlecht?", ist nebenan zu hören. An Chipperfields Museums-Projekt interessiere sie die Verdichtung von Räumen zu einer kleinen "Stadt in der Stadt", deren Zentrum ein amöbenförmiges Nichts sei, ein strahlend heller Turm, von dem auch ein großes Modell zu sehen ist. Denn Chipperfield, soviel ist immerhin noch zur Entwurfsstrategie zu erfahren, baut bereits in einem frühen Stadium sehr große Modelle. Außerdem, das zeigen die kopierten Blätter an den milchigen Plastikwänden, skizziert er gern mit lockerem Strich, was so gar nicht zur asketischen, eben typisch "schweizerischen" Anmutung seiner realisierten Bauten passen will.

Noch vor Einbruch der Dunkelheit geht der Abend zuende, die Architekten sind froh, ein wenig Galerienluft geschnuppert und mit alten Bekannten auf dem Gehsteig gestanden zu haben. In zwei Wochen trifft man sich wieder. Oder gleich anschließend, bei der nächsten Vernissage, die im Hof des Umspannwerks an der Kopenhagener Straße stattfindet. Frank Lloyd Wrights Werk wird dort gezeigt, im Vitra Design Museum. Wie der seine Häuser wohl entworfen hat?

Oliver Elser

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